„Die Erinnerungen werden dir helfen!“ (Norberto Bobbio)

SWR2
„Wissen“
27.4. 2018
Red.: Ralf Kölbel
SprecherInnen (Zitate):

Katrin Machel, Holger Franke
Autor und Regie: Detlef Berentzen

 

Einsamkeit: dass man, älter geworden, allein ist mit seinen Erinnerungen: dass die, mit denen Erinnerungsverabredungen bestanden, nicht mehr erreichbar oder gar nicht mehr sind, dass kaum etwas von dem, was öffentlich über die zurückliegenden Zeiten verlautbart wird, noch verträglich mit den privaten Rückblicken ist; dass die Jugenderinnerung für die jetzt Jugendlichen klingt wie eine Erzählung aus dem Dreißigjährigen Krieg. (Silvia Bovenschen)

 

Reden wir vom Alter. Vom Altern, von den Alten. Nicht von denen aus der Hochglanzwerbung, den allzeit fröhlichen Konsumenten von Kreuzfahrten,  Windeln und Treppenliften, sondern von den Vielen, die der beschleunigte Alltag einer bunten und digitalen Welt im Grunde nicht länger meint. Reden wir von den verlangsamten Alten und vor allem darüber, was im aktuellen und historischen Diskursen über sie gedacht wird und wurde. Denn genau das hilft.

Vieles, was in den aktuellen Debatten zum Thema kursiert, weiß wenig vom tatsächlichen Leben der Alten (ihrer „conditio humana“) und noch weniger von der Geschichte jenes Denkens, das im Laufe der Jahrhunderte das Alter und seine Alten reflektiert hat. Ob nun Cicero dem Alter  in „De senectute“ einen respektablen (auch sozialen) Sinn abgewinnt, dabei auch das Gespräch zwischen den Generationen postuliert oder Jacob Grimm, der sich  in seiner „Rede über das Alter“ selbst einen „freigesinnten alten Mann“ nannte  und mutig die Tugenden des Alters bestimmte, darunter auch jene Gelassenheit, die mit einer „gefestigten und freien Gesinnung“ einhergeht.

 

Später ist es dann Jean Amery, der in seinen Essays all das, mit dem seine Vorgänger dem Alter noch Glanz verliehen, um ein Anderes, Kontroverses ergänzt: Das Alter als „unheilbare Krankheit“, als Leiden und Schmerz, als Zeit des „Sich-Fremd-Werdens“, in der sich der Mensch zunehmend verloren geht. Ein Stück Wahrheit, das der italienische Philosoph Norberto Bobbio in seinem Buch „Vom Alter“ mit über neunzig Jahren quasi synthetisch aufnimmt, indem er die eigene Metamorphose begreift, auch die Reaktionen seiner Umwelt auf das Alter reflektiert, gleichzeitig aber auch dem Alter einen eigenen Sinn und eigene Aufgabenbereiche zuordnet, nicht zuletzt die individuelle Erinnerungsarbeit zwecks Herstellung von Identität: „Konzentriere dich. Verschwende die kurze Zeit nicht, die dir noch bleibt!“

Alter ist mehr als das, was in den Medien aufscheint, mehr als Rentenproblematik, Inkontinenz, Statistik und Demenz. Das Alter hat gerade in der Philosophie eine eigensinnige Gegenwart und eine ebensolche Geschichte. Dieses Gestern und Heute will ich radiophon erzählen – u.a. mit Hilfe von Philosophen, Alten und sonstigen Suchenden. Erst eine solche  Erzählung bildet den inspirierenden Rahmen für den längst  überfälligen Gegenentwurf zur „stillschweigenden Aussonderung der Alternden“ (Norbert Elias) und dem aktuellen Credo, „dass wir alle alt w e r d e n, aber niemals alt s e i n wollen!“ ( Wolfgang Kramer, Philosoph und Geronto-Sozialtherapeut)

Illustration: Joern Schlund

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